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Rüde oder Hündin?

Die Frage nach dem Geschlecht spielt bei der Anschaffung eines Hundes bei den meisten Familien eine große Rolle. Als Züchter wird man häufig nach Empfehlungen, Erfahrungen und den grundsätzlichen Unterschieden zwischen Rüde und Hündin gebeten. Es herrschen sehr viele allgemeine Meinungen und Vorurteile über geschlechtsspezifische Unterschiede vor, die jedoch nicht so einfach pauschal beantwortet werden können. Denn jeder Hund ist einzigartig und sein Verhalten und seine Eigenschaften sind nicht auf das Geschlecht zu reduzieren, sondern ebenso stark vom individuellen Charakter und auch der Erziehung und Haltung des Hundes abhängig. 

Hartnäckig vertreten sind u.a. folgende Aussagen:

  • Hündinnen sind einfacher zu erziehen und anhänglicher
  • Rüden sind aggressiver und nicht so verträglich mit männlichen Artgenossen
  • Hündinnen sind verschmuster
  • Rüden markieren, Hündinnen nicht/viel weniger
  • Rüden laufen öfter davon 
  • Hündinnen sind zickiger

Zu jeder dieser Aussagen können wohl nicht nur ich, sondern alle Hundebesitzer, mindestens ein Gegenbeispiel nennen. So individuell jeder Mensch und Hund ist, sind dementsprechend die Bestätigungen oder Gegenargumente. Ebenso werden die Meinungen sehr vielfältig sein, warum jemand eher Hündinnen oder Rüden bevorzugt. Dies hat mitunter mit eigenen Erfahrungen, Beobachtungen und schlichtweg persönlichen Präferenzen zu tun. 

Als jahrzehntelange Hundehalterin, möchte ich dem ein oder anderen Hundeneuling ein wenig Einblick fernab der Wissenschaft geben. Direkt aus dem Zusammenleben mit Rüden und Hündinnen der Rassen Collie, Sheltie und auch einem Aussie. 

Während Hündinnen 1-2 Mal im Jahr läufig werden, sind Rüden ganzjährig paarungsbereit. Diese Unterschiede sind von Natur aus gegeben.

Rüden markieren prinzipiell über das gesamte Jahr gleich stark und im Regelfall häufiger als Hündinnen. Es ist völlig natürlich, dass Rüden das eigene Grundstück/Territorium und v.a. auch neue Gebiete markieren. Damit wird ein gewisser Anspruch erhoben, der eigene „Stempel“ wird hinterlassen – ich war hier 🙂

Mit Training, Konsequenz und Geduld, kann man auch Rüden sehr gut beibringen, nicht überall zu markieren. Sowohl am eigenen Grundstück, als auch unterwegs, denn ich finde es ist nicht notwendig Laternen, Hausecken und -mauern oder Autoreifen zu markieren.

Häufiges Markieren, Imponiergehabe und „wichtig sein“, ist nicht nur Rüden vorbehalten. Auch Hündinnen zeigen diese und ähnliche Verhaltensweisen, vor allem während der Läufigkeit und je nach Hündin auch ganzjährig. Unsere Tracy z.B. beherrscht das Markierverhalten außerhalb unseres Grundstücks in Perfektion, sie macht jedem Rüden Konkurrenz. 

Während der Läufigkeit verlieren Hündinnen mehr oder weniger Blut, auch sehr verschieden. Der Reinigungsprozess ist wichtig, daher halte ich von Schutzhosen in dieser Phase nicht viel. Manchen Familien ist es zu heikel, während der heißen Phase besonders aufzupassen, stören sich an der beeinträchtigten Sauberkeit des Hauses in dieser Zeit und entscheiden sich deshalb für Rüden. Anderen ist die ganzjährig vorhandene Potenz des Rüden – ebenfalls unterschiedlich stark ausgeprägt – zu anstrengend oder mühsam. 

Bei Hündinnen, die nicht gedeckt werden, kann – muss nicht – nach der Läufigkeit eine Scheinträchtigkeit auftreten. Diese verläuft je nach Ausprägung und Hündin ebenfalls sehr unterschiedlich. Einigen Hündinnen ist keine körperliche oder psychische Veränderung anzumerken. Bei anderen zeigen sich deutliche Auffälligkeiten wie zB Nestbautrieb, Müdigkeit, Trägheit, das Behüten und Horten von Spielzeug als Ersatz der fehlenden Welpen. Mit Ablenkung kann man der Hündin über diese Phase helfen, damit sie sich nicht weiter reinsteigert.  

Vor allem muss auf Ausfluss, extreme Mattheit und gesteigerte Wasseraufnahme im Laufe und auch nach der Scheinträchtigkeit/Läufigkeit geachtet werden. Dies kann mitunter auf eine Gebärmutterentzündung deuten und diese Symptome sind immer ein Alarmsignal und müssen sofort tierärztlich abgeklärt werden. 

Ein ganz klares Nein gibt es von mir auf folgende pauschale Aussage: Hündinnen sind verschmuster und einfacher zu erziehen. Dies ist schlichtweg nicht richtig. 

Mein Aussie Henry war extrem anhänglich, verschmust und im Rudel sehr sanft und fürsorglich, sowohl im Umgang mit allen erwachsenen Hunden, als auch mit Welpen. Henry erlaubte allen Rudelmitgliedern sehr viel Nähe, wie der Fels in der Brandung lag er da und alle durften sich zu ihm kuscheln. Lindsay und Tracy beanspruchen da wesentlich mehr Radius um sich, und unterscheiden auch: wer darf sich wann wo dazulegen oder gerade eben nicht. 

Henry war bei unseren Würfen der wundervollste „Windelwilly“ und Babysitter, geduldiger als alle meine Hündinnen und liebevoll zu den Kleinen. Henry konnte jederzeit und uneingeschränkt zu Welpen gelassen werden, niemals wäre er grob und ungerecht geworden. Ein ideales Vorbild für jedes Baby.

Colliebub Toni ist ein würdiger Nachfolger als Babysitter – allerdings ist er mehr der Quatschkopf und spielt liebend gerne mit dem Nachwuchs. 

Toni weicht beim Spaziergang so gut wie nie von meiner Seite, wenn er darf, begrüßt er gerne andere Hunde, aber schnell kommt er wieder zurück. Tracy und Sydney laufen frei wiederum viel unabhängiger. 

Intakte Rüden, die unterschiedlich stark sexuell motiviert sein können, sind naturgemäß an für sie interessanten gut riechenden Hündinnen interessiert, und in manchen Situationen schwieriger abzurufen. Die Ausprägung ist wiederum abhängig vom Alter des Rüden, vom Zykluszeitpunkt der Hündin, von der allgemeinen Potenz und Sexualität des Rüden, vom Ausbildungsstand und individuellem Charakter. 

Hündinnen können vor, während und kurz nach der Läufigkeit mal ihre Erziehung ein wenig vergessen, sitzen auf den Ohren und/oder sind mal zickiger im Umgang mit Artgenossen. Sydney ist so eine Kandidatin, die während und nach der Läufigkeit etwas „strenger“ mit Toni umgeht.

Auch wenn ich selbst noch nie mit aggressiven Collies zu tun bzw gelebt habe, kann ich die Aussage Rüden raufen häufiger, oder sind unverträglicher mit gleichgeschlechtlichen Artgenossen nicht bestätigen. Rüden neigen eher mal dazu die Hosenträger schnalzen zu lassen, zu imponieren und Kommentkämpfe zum Klären der Rangordnung austragen. Meine bisherigen Rüden haben sich jedoch auch darauf nie eingelassen, da sie ein sehr souveränes, soziales und ausgeglichenes Wesen besaßen bzw besitzen. Und auch hier hat der Mensch und die Mensch-Hund-Beziehung noch ein Wörtchen mitzureden, inwieweit man das unerwünschte Verhalten zulässt und/oder die Verantwortung übernimmt seinen Hund gar nicht in diese Situationen kommen lässt und schon beim Aufkommen eines „Gockelns“ der Rüden eingreift und die Situation auflöst. 

Zum Glück sind Collies sehr gut verträgliche und sozialorientierte Hunde, egal ob Rüde oder Hündin. Bei mir gab es noch nie eine Rauferei, schon gar keine Verletzungen. Kleine Auseinandersetzungen kommen in jedem noch so harmonischen Rudel vor – bei uns musste ich noch niemals „eingreifen“, sie leben alle sehr harmonisch miteinander. 

Der Unterschied in der Heftigkeit hängt meiner Meinung nach aber nicht vom Geschlecht ab, sondern stark von der generellen Struktur im Rudel, im Zusammenleben Mensch-Hund und einem gut sozialisierten und gefestigten Wesen der Hunde ab.

Ebenfalls unabhängig vom Geschlecht gibt es mehr oder weniger ausgeprägt die Verteidigung von Futter, Gegenständen oder Personen. 

Ich könnte hier noch viele weitere Beispiele und Gegenbeispiele anführen. Eine Empfehlung ob Rüde oder Hündin in der Familie aufgenommen werden soll, kann ich pauschal für unsere Collies definitiv nicht geben.

Es gibt typische „Hündinnen- bzw. RüdenliebhaberInnen“, denen ein Geschlecht einfach besser gefällt, oder durch die eigenen Erfahrungen mehr liegt. Für mich kann ich sagen: ich liebe Rüden und Hündinnen gleichermaßen, und JEDER EINZELNE hat seine individuellen Eigenschaften, seinen eigenen Charakter und von Natur aus vorgegebene Verhaltensweisen. Gerade für den Collie kann ich guten Gewissens sagen: wenn der Hund als Familienmitglied in Betracht gezogen wird, im Alltag integriert wird, auf Ausflügen ein treuer Partner an der Seite der Kids sein soll und als individuelles Lebewesen geliebt wird, dann sollte das Geschlecht, ebenso wenig wie die Farbe, DIE ausschlaggebende Rolle spielen.